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Lieber Heinz, ich sende Dir meine philosophischen Gedanken als Neujahrsgruß.

 

 

DIE WANDERUNGEN NACH DEN SEELEN

 

Und deine Ohren, sie werden ein Wort hinter dir sagen hören:

„Dies ist der Weg. Wandelt darauf“, falls ihr zur Rechten gehen

solltet oder falls ihr zur Linken gehen solltet.

(Jesaja 30:21)

 

Die spontane Erinnerung an Gegenstände, Erlebnisse, Begegnungen, Menschen macht wach die Gefühle der ruhigen Geborgenheit im Tohuwabohu des Lebens. Eine Rettungsinsel im Ozean der kosmischen Einsamkeit. Man kennt dieses Gefühl der Verlassenheit, welches der Psalm 22 beschreibt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Das Leben, ewiges Schwanken, Schwanken zwischen Sein und Nichtsein.

 

Widersprüche [Gegensätze] gehören nicht einfach zum Leben, sie sind nämlich Voraussetzungen, Grundlagen und Formen des Lebens.

 

Mensch auf der Ebene der Gefühle und Triebe fragt nicht nach dem Sinn, Ziel, Aufgaben des Seins. Er bildet unzertrennlich eine Eins mit dem Symphonieorchester des Universums, das als Organismus im immerwährenden Wandel ist. Lebende Seele (Néfesch chajjáh), wie die Bibel ihn bezeichnet (1Mo 2:7) ist der Mensch der Träger des Lebensprinzips der Schöpfung als Ganzheit. Er [er]kennt keine Trennung von der Schöpfung.

 

Er wandelt mit der Schöpfung in „Hier und Jetzt“ harmonisch. Er kennt nicht die Zeit: jeden Augenblick in „Hier und Jetzt“ fliegt er in der EWIGKEIT des Wandelns. Die Ewigkeit als Fehlen der Zeit. Dadurch empfindet die Seele diesen Zustand der Geborgenheit in grenzenlosem Wandel des kosmischen Ozeans als Sein ohne Zwang, als Freiheit, als Harmonie. Und dann… Die Vernunft ist sicher, dass sie mehr weiß als die Seele.

 

Als der Mensch anfing bewusst durch sein Tun mit Hilfe der Technik die zweite Natur zu erschaffen, wirkte er gegen die Welt der Empfindungen - materielle Welt, gegen die Materie selbst, da er nicht der Herr der ihr beiwohnenden Kräfte war. Er musste lernen, SELBST die Ziele und die Ursachen herauszufinden, tausende von Jahren Erkenntnisse und Wissen zu sammeln, indem er die Materie in immer kleinere Elemente zu zerlegen versuchte.

 

Von nun an stand der Mensch mit seiner Vernunft allein außerhalb der „toten materiellen Welt“. Die Wandelbarkeit, Unbeständigkeit der Welt [er]dachte und empfand Vernunftmensch jetzt nicht als Lebensprinzip des kosmischen Organismus, sondern als Veränderungen der trägen Materie in der ZEIT. So wurde die Zeit als Symbol des Todes geboren. Wenn Plato die Zeit noch „bewegliches Bild der Ewigkeit“ nannte, so dachte man seit Aristoteles die Ewigkeit als das Aufhören der Veränderungen.

 

Die Ewigkeit als erfrorene Zeit („unbewegliches Bild der Zeit“). Die Philosophen hielten die Zeit für einen Feind und seit alters war der Traum aller Metaphysiker die Zeit zu überwinden, den Weg zur absoluten Freiheit, Unsterblichkeit zu finden. Ein Paar Jahrtausenden arbeitete der menschliche Gedanke unermüdlich daran, das Ewige als sich selbst Gleiche, Identische und Unveränderliche festzustellen. Die Materie (Ursubstanz) bekam Prädikat ewig, unveränderlich. Nur ihre Formen sollten in der Welt unbeständig sein.

 

Die Gesetze des Seins als Naturgesetze waren in unermüdlicher, anstrengender Arbeit zu erkämpfen. Fortan bevölkerten die Welt nur noch Grundsätze, Prinzipien und Regeln, die der Materie innewohnten. Der rational denkende, der materiellen Welt gegenüberstehende [Vernunft]Mensch konnte nur diesen Wahrheiten trauen und hoffen, dass er den Tod mit diesem Wissen überwinden kann. „Wissen ist Macht“, - behauptete Bacon, der als höchste Aufgabe der Wissenschaft die Beherrschung der Natur erklärte.

 

Die Erfahrung schien lange seine Worte zu bestätigen. Das war aber nur der Schein. Je größer die von Generation zu Generation zu vererbende Wissensmasse wurde, je komplizierter auf ihr aufgebaute Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur, desto bruchstückartiger wurden das Wissen und das Tun eines einzelnen Menschen in der Ganzheit. Die Arbeit des Menschen wandelt sich in der Moderne ins Ausüben spezialisierter Funktionen, in die Bedienung der klugen Automaten um. Und dieses System des Wissens, das kein einzelnes Individuum mehr begreifen, geschweige denn beherrschen kann, ist Dämon aus der Flasche.

 

Der Mensch kann sich dem permanenten Zwang des Systems nicht entziehen. Sein Bereich der Freiheit, da er das Ganze nicht mehr zu verstehen vermag, macht nur noch den „Irrationalen Rest“ seines rational geordneten Daseins aus. Wenn die technische Evolution ihm die Unsterblichkeit verspricht, dann sieht sie wie die eines Anthropoiden aus. Aber auch dem Sinn nach dient die Vermehrung des Wissens nur noch der weiteren Einschränkung der Freiheit des Menschen.

 

Denn mehr Wissen über die materielle Welt heißt, dass wir den, von der Natur gesetzten, immer zahlreicheren Grenzen begegnen. Der Baum der Erkenntnis ist Baum des Todes! Der Sinn des biblischen Sündenfalls: Der Mensch glaubte der Schlange, dass die Erkenntnis ihm neue Kräfte gibt. Er wurde wissendes, aber ein beschränktes und sterbliches Wesen. Je mehr er weiß, desto mehr beschränkt ist er. Das Wissen im Prinzip bedeutet mehr Beschränktheit! Immer neue Grenzen des Seins entdecken!

 

Die Rettung, Erlösung des Menschen steckt nicht in der Beherrschung des Wissens sagte die Bibel, Offenbarung Schöpfers, immer. Aber wir kamen zu dem selben Schluss auch auf dem Wege in die Sackgasse des rationalen Denkens: der materielle Körper ist unser Kerker und der sichtbare materielle Kosmos ist nur der Zaun dieses Kerkers.

 

Und was nun? Müssen, dürfen wir uns damit abfinden? Nein!

Gerade die Wissenschaft, diese unumstößliche Säule des Rationalen Denkens, machte dem Begriff „Materie“ als Substanz ein Garaus!

 

Erstaunliches Bild brachte die Quantenmechanik im XX. Jahrhundert! Nachdem die Quantenphysik das klassische mechanistisch-rationale Bild der Welt, das direkt der bildhaften Wahrnehmung entsprach, gesprengt hatte, „verschwand“ plötzlich die Materie. Alle Ereignisse im Universum erwiesen sich als Zuckungen, Wellen des einen Ozeans. Alle materiellen Objekte (auch unsere Körper) sind nur die scheinbaren Formen der Wellen, die die anderen Wellen-Formen reflektieren.

 

Alles redet mit Allem. „Im Anfang war das Wort“, - verkündet das Evangelium von Johannes als Reflexion des „Im Anfang schuf Gott“ des Genesisbuches. Dem Bewusstsein öffnete sich die Erkenntnis, die Einsicht in die Gewissheit der Transzendenz. Es gibt keine Gesetze - die immanenten Eigenschaften der Materie des Alls! Sie sind nur für unseren logischen Verstand, für unsere zeitliche Existenz hier auf der Erde nötig.

 

Die Anfänge, die Prinzipien, die Wahrheit, das Ziel aller unserer Bestrebungen liegen viel tiefer. Die Verschmelzung des Menschen auf dem rationalen Wege mit der materiellen Natur ist der Untergang, der Tod. Die WIRKLICHKEIT ist viel viel größer als unsere Vernunft, sie kann nicht aus der Vernunft abgeleitet werden. Auch der kleine „Irrationale Rest“ des Menschen – seine Seele kann in die Vernunft nicht eingezwängt werden.

 

Er erweist sich viel wichtiger. Nur in der Seele steht der Mensch von Angesicht zu Angesicht dem Gott gegenüber, jenseits all seines Wissens. Die Weisen des Altertums kannten: „Je mehr die Seele sich von der Welt reißt und sich in die Abgeschiedenheit begibt, desto fähiger wird sie zu finden und zu begreifen ihren Schöpfer und Herr…“, - I. Loyola. Nur dort in dem Zustand der Verschmelzung mit dem Schöpfer ist die Freiheit. Diese Verschmelzung ist spontane Erleuchtung, Raptus (Verrücktheit), ein Augenblick des plötzlichen Erlangen der Wahrheit.

 

„Man muss aus dem Tagtäglichen regelmäßig fliehen können“, - sagt meine innere Stimme. Zurück zu der Seele! So schließt sich der Kreis der Erkenntnis. Gerade die rationale Erfahrung unserer Vernunft ist ständig notwendig, um zu lernen wie man von der Welt fliehen kann. Dafür braucht man die Insel der Abgeschiedenheit, wo die Seele im Kreis der Gleichgesinnten die Freiheit kostet.

 

Gesegnet sei diese Welt, die uns die Stimmen der auch vor Jahrtausenden Gestorbenen hören lässt!

Im Anschluss biete ich nur sehr gern ein Gedicht des großen russischen Poeten-Symbolisten, der die Abgründe des Wissen in der Moderne vorausgeahnt hatte.

 

 

DIE WELT DES ELEKTRONS

 

Vielleicht sind diese Elektronen

Die Welten, wie die unsre ist:

Fünf Kontinente, Kriege, Throne,

Die Künste, Wissenschaften, List...

Und das Gedächtnis der Äonen.

 

Vielleicht birgt jedes der Atomen,

Geballt im winzigen Volumen,

Ein Universum, die Planeten;

Dort sprießen wundersame Blumen,

Philosophierten die Poeten.

 

Klein sind die Maße dort, dennoch

Der Himmel ist genauso hoch,

Der Abgrund der Unendlichkeit

Strahlt in derselben Ewigkeit.

 

Gleich unsren stellen dort die Weisen

Sich in die Mitte ihrer Welt

Und suchen in Erkenntniskreisen

Die Ursubstanz, die alles hält.

 

Und als die Ströme neuer Kraft

In der Natur den Riß befreien,

Sie triumphierend laut schreien:

„Gott habe selbst sein Licht dahingerafft!“

 

Es gibt vielleicht ein Universum,

Mit einem Andren, der wie ich

Schreibt im Moment die gleichen Verse

Für seine Liebe, andre Dich.

. . .

(Valeri Brjussow, Moskau, 13.August 1922. )

 

 

In guter Erinnerung an unser Treffen bei L. und mit freundlicher Umarmung,

Dein S. N.

 

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